„Es geht ums Überleben der Demokratie“
Sieben Schüler des GTO haben an einem internationalen Quantencomputerkurs teilgenommen – Zukunftsweisende Technologie
„Der Quantencomputer wird eine gewaltige Veränderung bewirken – mehr als das Handy“, ist sich Joachim Fischer sicher. Deshalb hat der Informatiklehrer am Ganztagsgymnasium Osterburken (GTO) sieben Schüler gefragt, ob sie an einem internationalen Quantencomputerkurs teilnehmen wollen. Und die waren sofort Feuer und Flamme. Initiiert wurde dieser Kurs von der „Qubit-by-Qubit Nonprofit Initiative“ aus den USA, die das Ziel hat, möglichst viele junge Leute aus der ganzen Welt für das Thema Quantencomputer zu begeistern. Unterstützt wird sie durch den Weltkonzern IBM und die US-amerikanische Coding School. Die GTO-Schüler erhielten webbasiert Live-Vorlesungen von renommierten Lehrern amerikanischer Universitäten wie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Harvard-, der Stanford-Universität und der englischen Universität Oxford.
Das Ganztagsgymnasium, das das Signet „MINT-freundliche Schule“ trägt, hat übrigens als einzige Schule aus ganz Deutschland an diesem Kurs teilgenommen. Und das, obwohl „wir in Deutschland in Sachen Quantencomputing völlig hintendran sind“, wie Fischer kritisiert. Dies sei „völlig unverständlich“. Deshalb brauche sich „der ländliche Raum auch nicht verstecken“. Führend auf dem Gebiet der Quantencomputer sind aktuell vor allem die USA und China.
Doch warum der Hype ums Thema „Quantencomputing“? Welchen Vorteil bringen solche Computer? Die Antwort: eine extrem höhere Geschwindigkeit. Denn während herkömmliche Computer Berechnungen nacheinander ausführen, können dies Quantencomputer parallel. Heißt konkret: Eine Berechnung, an der ein aktueller herkömmlicher Supercomputer seit der Entstehung des Universums herumdoktern würde, würde ein Quantencomputer in unter 20 Sekunden lösen.
„Ein normaler Computer rechnet binär, also mit Nullen und Einsern“, erklärt der 16-jährige Lukas Heinemann, einer der GTO-Schüler. „Das ist eben nicht wirklich schnell.“ „Ein Quantencomputer läuft dagegen über sogenannte Qubits, also Quantenbits“, wie sein Mitschüler Markus Gramling ergänzt. „Diese können – im Vergleich zu normalen Bits, die ja nur die Zustände 0 oder 1 annehmen können – unendlich viele Zustände haben – und das gleichzeitig.“ Damit „kann ein Quantencomputer Dinge machen, die mit einem herkömmlichen PC nicht gehen“, sagt Hannes Heimberger, der ebenfalls am Kurs teilgenommen hat.
Hört sich eigentlich alles zu schön an, um wahr zu sein. Und genau hier liegt das Problem. Denn die ganze Sache hat einen Haken: „Wir haben noch keinen störungsfreien Quantencomputer“, wie Lukas Heinemann erklärt, während Markus Gramling ergänzt: „Wir stehen noch relativ am Anfang.“ Wobei es in „spätestens 50 Jahren Home-Quantencomputer gibt“, ist sich Fischer sicher.
Bis dahin gilt es allerdings noch ein großes Problem namens „Temperatur“ zu lösen. Denn damit ein Quantencomputer funktioniert, muss er sehr stark gekühlt werden. Während bei herkömmlichen Rechnern ein Lüfter oder auch eine Wasserkühlung ausreicht, müssen bei Quantencomputern größere Geschütze aufgefahren werden. Denn ein Quantencomputer muss bis fast auf den absoluten Nullpunkt gekühlt werden – also auf minus 273 Grad Celsius. Und genau hier liegt das Hauptproblem. Denn die Theorie, wie ein Quantencomputer funktioniert, besteht bereits.
So haben die sieben GTO-Schüler im Rahmen des internationalen Quantencomputerkurses in Kleingruppen per Online-Laborsitzungen ganz konkret reale 5-Qubit-Quantencomputer von IBM in der Programmiersprache Python programmiert.
Der Kurs wurde von IBM und der US-amerikanischen Coding School sowie dem MIT ausgeschrieben. Als Teilnehmer an der Initiative „Mint. Zukunft schaffen“ wurde auch das GTO angeschrieben. „Ich habe dann Schüler angesprochen, die ich dafür für geeignet hielt. Die haben sich dann auch sofort bereit erklärt“, berichtet Joachim Fischer.
Im September letzten Jahres ging es dann mit dem achtmonatigen Kurs los. „Alles lief über Zoom-Meetings ab“, erklärt die 14-jährige Helen Heimberger, die jüngste Teilnehmerin. Daran nahmen Interessierte aus der ganzen Welt teil. „Deshalb wurde natürlich auch Englisch gesprochen“, so die Schülerin. Weil die GTO-Schüler mit Leib und Seele dabei waren und großes Interesse zeigten, besuchten sie auch samstags die Online-Vorlesungen – natürlich auch auf Englisch. Um Quantenphysik in einer fremden Sprache verstehen zu können, muss man schon einiges auf dem Kasten haben. Und das haben die Schüler vom GTO definitiv. Und wenn es doch zu kompliziert wurde, „konnten wir die Vorlesungen im Internet erneut anschauen“, erklärt Helen Heimberger.
Fünf Stunden in der Woche investierten die Schüler in den dank dem Sponsor IBM Quantum kostenlosen Kurs, der „normalerweise etwa 1200 Dollar kosten würde“, wie ihr Informatiklehrer informiert. Fischer ist außerdem voll des Lobes für die Dozenten: „Besser kann man einen Kurs nicht machen.“
Doch wofür soll das alles gut sein? „Durch die enormen Leistungen der Quantencomputer können etwa Impfstoffe hergestellt werden, sichere Kommunikation aufgebaut werden oder Klimaberechnungen durchgeführt werden“, erklärt Fischer. Und seine Schüler weisen noch auf einen wichtigen Aspekt hin: „Letztendlich geht es ums Überleben der Demokratie.“ Denn wer weiß, aus welchem Land die nächste gute Idee kommt, die die Quantencomputertechnik nach vorne bringt. Wenn der Technikvorsprung in den falschen Händen liege, könne dies schnell zu einer Gefährdung der Demokratie und der freiheitlichen Grundrechte kommen. „Deshalb hoffen wir, dass wir die nächste gute Idee haben, um die Demokratie zu verteidigen“, sind sich die Schüler einig.
Dass das Thema Quantencomputing nicht nur die Fachbereiche Mathematik und Informatik tangiert, betont auch GTO-Schulleiterin Regina Krudewig-Bartel. „Man muss interdisziplinär damit umgehen, was wir auch schon in unserer Schule umsetzen. Denn ethische Fragen stehen dabei ebenso im Vordergrund: Was darf ich mit dieser Technologie tun?“, so die Schulleiterin. „Uns ist nicht irgendein Zertifikat wichtig, sondern dass wir vermitteln, wie wir das auch leben können.“ Deshalb unterstütze das GTO junge Leute, die in diese Richtung gehen wollen.
Und wer weiß: Vielleicht hat irgendwann einmal ein ehemaliger GTO-Schüler die zündende Idee, um die Quantencomputertechnik entscheidend nach vorne zu bringen …